Shut up and Dance – Ecstatic Dance in Goa
Ich stand auf der Tanzfläche unter dem Banyan Tree in Goa. Hinter mir liegen knapp drei Stunden Ecstatic Dance, wobei ich die letzte Stunde mit brennenden Füssen am Rand hockte und mich dann zum Abschied noch einmal auf die Tanzfläche wagte. Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Wie immer gab es am Ende des Tanzes ein paar neue Paarungen für den Moment: Menschen, die glücklich mit klitschnassen Haaren übereinander, nebeneinander oder ineinander am Boden lagen. Das war mir dann doch zu viel Nähe bei so viel Nüchternheit. Ecstatic Dance ist Tanzen ohne Sabbeln, ohne Alk, ohne Rauchen, ohne Drogen, barfuss und – wer mag – mit Kontakt.
Mein Status war noch Anfängerin – sprich: angeschossenes Reh schlittert alleine über die Tanze, unsicher und mit lautem Kopf. Der scannte die schönen hundert Menschen drum rum und plapperte unentwegt: „Aah die sind ein Paar, oh der hat mich angelächelt, ach ne jetzt ist sie ja mit dem anderen…? Soll ich jetzt mit dem tanzen, diese Bewegung sieht toll aus, kann ich nicht, was machen die denn da in der Ecke? Wo will denn mein rechtes Bein hin? Mir tun die Füsse weh….“ Was beim Ecstatic Dance passiert, ist das Leben. Hier zeigt sich unsere Beziehung zu uns selbst und die Beziehung zu anderen: wie selbstbewusst wir sind, und ob wir fähig sind Verbindung zu anderen aufzubauen, ohne, dass wir ins Wanken geraten. Wir sollten unseren Impulsen folgen – erstmal alleine dann gerne mit anderen Menschen zusammen dancen. Aber Warnung: Wenn man den Mut aufbringt, jemand anzutanzen, kann der oder die dankend weiterreisen. Denn jeder Mensch hat so seine Launen und nicht jeder mag die Energie von unsicheren Leuten, die während des Tanzes freezen also erstarren und nicht wissen, was sie mit ihrem rechten Arm und ihrem kleinen Zeh anstellen sollen. Obwohl alle sehr nett und offen waren, und Musik von Bonobo und Nu Rückenwind gaben, hemmte mich die Angst vor Ablehnung zu Beginn sehr.
Und dann kurz vor dem Ende der Sause wurde ich abgeholt. Fast. Wie von einem imaginären Pfaden gezogen, schlingerte ein Typ auf mich zu: Rückwärts! Er stoppte genau einen Zentimeter vor meiner Nase. Da er keine Augen im Hinterkopf hatte, fragte ich mich, was das für ein Hokuspokus war. Der Typ war bekannt. Ein Musiker und Tanzlehrer. Er war mir schon die Male davor aufgefallen, nicht nur weil er wie Jesus aussah – (nicht zu verwechseln mit dem Tänzer in Goa, der sich Gott nannte) – er war mir auch aufgefallen, weil er immer zweieinhalb Stunden durch das tanzende Menschenmeer suchend umherirrte, um dann am Ende, eine Frau auszuwählen, mit der er zu einem Song tanzte. Das sah dann jedes Mal überirdisch gut aus. Sowas wollte ich auch können.
Mich hatte der Tänzer jetzt nicht zum Tanzen, sondern zum gemeinsamen Rumstehen auserkoren. Rücken an Nase – Nase an Rücken. Ich fragte mich: „Möchte er, dass ich mit ihm diesen blöden Doppeldecker mache, wie verliebte Paare es auf Konzerten tun? Dass ich meine Arme von hinten um ihn schlinge?“ Ich meine, einen DJ hatten wir da vorne, es war ja quasi wie ein Konzert und andere taten genau das – so nen blöden Doppeldecker. Passiv stand ich da. Mein Körper war ratlos, mein Kopf war schüchtern. Ich wollte dem Tänzer zuflüstern: „Ey dreh dich mal um, ich kann auch was, auch wenn es nicht tanzen ist – zumindest nicht so wie sie es hier tun. Ich kann reden und erzählen, und ich kenne gute Witze“, aber Sprechen ist beim Ecstatic Dance untersagt und sowieso Reden zählt in Goa, dem Mekka der Körperlichkeiten, nicht. Goa ist die Spielwiese für Hulahup-Prinzessinen, Tantragöttinen, Yogalehrer und Profi-Tänzer. Ohne meine Stimme fühlte ich mich wie ein Niemand. Mein Ego lag zermatscht am Boden, es glich einem Haufen Kartoffelbrei und alle Unsicherheiten kamen auf den Teller. Beim Ecstatic Dance musste ich sie fressen.
Das war genau richtig für mich, denn für meine Reise hatte ich mir vorgenommen, mich meinen Ängsten zu stellen und meinen Körper herauszufordern, Dinge zu lernen, die zuhause zu kurz gekommen sind. Goa stand für Tanzen.
Wenn ich eine Sache kräftig vernachlässig habe in meinem Leben dann ist es das Tanzen. Als Teenie hüpfte ich noch in meinem Zimmer zu Madonna und Motörhead rum. Jeden Abend feierte ich stundenlang eine Onewomandisco bis ich erschöpft ins Bett fiel. Mit 16 ging’s dann auf die Parties und in die Clubs, da kam der Alkohol dazu, der in meiner Heimatstadt zum Feiern dazugehört. Wer nicht trank, wurde als seltsam betrachtet, so ist es auch heute noch. Weil ich ausserhalb meiner vier Wände gehemmt war zu dancen, machte ich beim Trinken mit. Mischgetränke als Mutpusher. Während meines Studiums hörte ich auf zu tanzen. Ich fing an fürs Radio zu arbeiten und sabbeln wurde mein Element. Ich sass auf den Parties an der Theke und unterhielt mich. Das machte ich jahrelang und die Hürde einfach mal stundelang zu dancen, wurde immer grösser. Dann entdeckte ich Ecstatic Dance. Pascal, der in Berlin eine grosse Szene aufgebaut hatte, kam nach Leipzig. Ich schlich nüchtern und schüchtern in den Raum: „Na toll, nur 8 Leute da“. Es hatte sich in Leipzig logischerweise noch nicht rumgesprochen, denn es war die erste Veranstaltung. Ich hatte dasselbe Gefühl, wie damals, als ich zum ersten Mal zum Uniradio ging. Ich hatte Schiss und wollte umkehren. Aber Umkehren führt ja nur in eine Sackgasse und zum Stillstand – also blieb ich. Pascals Set war mega. Elektronische Musik, Tribal sounds mit Livedrums. Ich tanzte und zwar so wie ich es damals als Teenie in meinem Zimmer tat. Beim Rausgehen entdeckte ich den Flyer Ecstatic Dance Festival in Goa – Januar 2018. Und so fand ich meinen Weg nach Indien.
Jetzt stand ich in Goa unter dem Banyan Tree vor dem Rücken des tollsten Tänzers. Da ich ja nicht reden durfte, tat ich nix. Sein Geruch erreichte meine Nase und verriet tagelanges Nichtduschen. Ausserdem bemerke ich seine für einen Tänzer ganz unüblichen nach vorne gezogenen Schultern. Er machte auf mich den Eindruck, einsam und lost zu sein. Vielleicht plagte ihn auch Liebeskummer, denn auch die freie Goaszene ist davor nicht gefeit. In den letzten Jahre hatte ich einige Erfahrungen gesammelt mit den lost souls, den lonely warriors und den freedom fightern dieser Welt. Mehr davon wollte ich gerade nicht. Ich erinnerte mich an eine Dänin, die zu mir sagte: „With Ecstatic Dance you learn how not to dance, you learn how to move!“ Ah es ging also gar nicht darum, zu lernen megatoll beim Tanzen auszusehen, sondern das Gegenteil, beim Ecstatic Dance geht es darum, das Tanzen zu verlernen und sich stattdessen so zu bewegen, wie man sich fühlt.
Ich machte zwei Moves – nach links und nach vorne. Jetzt stand ich nicht mehr im Schatten des Tänzers, sondern neben ihm. Mit etwas mehr Abstand. Der DJ forderte uns nun auf, uns zu umarmen, wenn wir wollten. Der Tänzer schaute zu mir rüber und lächelte mich an, ich schaute zu ihm rüber und lächelte ihn an. Einige Sekunden vergingen. Ich drehte meinen Kopf zurück und schaute nach vorne…„With Ecstatic Dance you learn how not to dance, you learn how to move!“
Ich bewegte meine rechte Hand zu meiner linken Schulter, die linke Hand zu meiner rechten Schulter. Ich umarmte mich selbst.
Epilog: Der Tänzer ergriff jetzt die Flucht nach vorne. Er verliess den Ecstatic Dance so vorzeitig wie Aschenputtel den Ball.
Mucho Love, Yvi
Das Gruppenbild ist von Festivalfotografin Michela di Savino.
PS: Diese Geschichte trug sich zu an einem Abend bei The Source in Arambol Goa. The Source ist einer der schönsten Konzert-, Workshop- und Tanzorte, an dem es mehrfach die Woche öffentlichen Ecstatic Dance gibt. Auf dem Ecstatic Dance Festival waren wir eine geschlossene Gruppe im Forgotten Land. Truppe und Ort waren ganz wunderbar. Ich kann es jedem, der Bock auf tolle Musik und Dance hat, nur empfehlen! Fotos vom Festival findet ihr auf der Ecstatic Dance Goa Facebookseite
https://www.facebook.com/pg/ecstaticfestival/photos/?tab=album&album_id=162113257775857
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