Lebensmüde nach Gokarna
Völlig fertig sass ich mit ein paar Hunden vor einem schlafendem Guesthouse. Es war 4:30 Uhr in der Früh und ich wartete darauf, dass die dicke gelbe Kugel aufwachte. Ich war in Gokarana am OM Beach gestrandet, was unterhalb von Goa liegt. Ein Bekannter aus Leipzig war da und ich wollte mal vorbeikucken.
Vorbeikucken bedeutete von Südindien 837 Kilometer mit dem Zug und Nachtbus hochzubrettern. Alleine.
Erstmal zur Reise, wie ich überhaupt in den Süden Indiens gekommen bin, bevor ich wieder hochfuhr.Schon auf der Hinreise in den Süden Indiens, also von Margao, dem Bahnhof bei Goa nach Thiruvananthapuram in Kerala sass ich 21 Stunden lang im Zug.
Mitternacht ging es in Goa los. Ich bestieg das kilometerlange blaue Metallmonster, die zweite Klasse mit harten schmierigen Pritschen zum Schlafen. Ich fand das Abteil mit Option zum Schlafen, hiefte meinen Rucksack auf die mittelhohe Pritsche (an jeder Seite gibt es 3 Pritschen zum ausklappen – unten, mitte und oben). Eigentlich sollte ich oben schlafen, direkt unter den fettig schwarzen Ventilatoren, aber das war mir zu hoch. Ich hatte Angst runterzufallen und mir alles zu brechen. Ich klappte die mittelhohe Pritsche aus und versuchte etwas zu schlafen. Keine gute Idee: Morgens um 7 wurde ich von indischen Männern geweckt und gebeten: „Bitte Liege an die Wand zurückklappen und unten hinsetzen.“ Sie sind morgens in den Zug zugestiegen und haben das Schlafabteil umfunktioniert in einen Gruppenkuschelwagon. Ich sass die nächsten 6 Stunden eng gequetscht zwischen den Männern, Marktleute stiegen ein und aus, verkauften auch warmes Essen wie Linsen, den fast flüssigen Dhal assen sie mit ihren rechten Händen.
Aus den Fenstern bzw. aus den Kucklöchern mit Metallstäben brauste der Wind um meinen Kopf. Was für 1 Feeling. Abends kam ich dann ok an in Thiruvananthapuram. Ich hatte auch für zwei Wochen später ein Rückfahrtticket gekauft, also zurück nach Goa – von dort aus wollte ich dann irgendwie nach Gokarna, was keine eigene Zughaltestelle hatte. In dem Ashram, wo ich war, kam jeden Morgen eine Inderin, die Reisetickets verkaufte. Sie sagte: „Oh du kommst ja morgens um 5 in Goa an, das ist zu gefährlich. Kauf besser ein Ticket für den Nachtbus, der bringt dich direkt nach Gokarna.“ Da würde ich morgens um 6 ankommen. Also schmiss ich mein Zugticket weg, was umgerechnet 8 Euro gekostet hatte und kaufte mir ein neues Ticket. Es stellte sich heraus, dass diese Fahrt viel aufregender war. Vom Ashram aus, der auf einem Hügel in der Natur lag, musste ich mit einem Rikschafahrer sehr früh morgens eine Stunde lang zum Bahnhof in Thiruvananthapuram. Ich musste ihm vertrauen. Es war das einzige Mal, dass mich auf der Reise durch Indien jemand angrabste, beim Rucksack auf- und absetzen. Die ganze Fahrt über wiederholte er seine Frage, ob ich verheiratet sei. Ich bejahte immer wieder – auch wenn ich auf Flunkern nicht stehe. Es war definitiv die bessere Aussage.
Dann nahm ich den Zug nach Kochi.
Wir rauschten vorbei an Müllbergen. Es ist krass zu sehen, wie viel Müll neben den Gleisen liegt, neben mir sass eine hübsch gekleidete ältere Dame, sie schmiess einfach Plastik aus dem Fenster. Ich behielt mein Kaffeestäbchen in der Hand. In Kochi hatte ich 4 Stunden Aufenthalt: Zeit, um einen Mülleimer zu finden und aufs Klo zu gehen, wo Inderinnen sich komplett wuschen, mit Wassereimer über den Kopf. Es dauerte etwas bis ich dran war und derweil passte eine alte Dame für zehn Rupees auf mein Gepäck auf. Ich war froh über die Umsteigezeit die ich hatte, musste nämlich erstmal die Bushaltestelle finden, die war, wie so oft, an einem Guesthouse irgendwo mitten in der Stadt. Ich heuerte einen Rikschafahrer an, er setzte mich ab, kassierte das Geld, falsche Stelle. Die nächste Fahrt brachte mich dann an den richtigen Ort. Ein netter Inder in meinem Alter wartete dort schon bei einem Chai und ich gesellte mich dazu. Er wollte zu seiner Schwester nach Goa. Honest kam pünktlich, so hiess der Bus. Also Ehrlich.
Er war gemütlich. Aber nur Männer fuhren mit, ich musste wieder vertrauen. Der Inder und ich unterhielten uns noch eine Weile und ich schlief dann ein bisschen. Irgendwann weckte mich der Fahrer. „Aussteigen!“ Wir seien da, also in Gokarna. Ich schaute auf die Uhr. 3 Uhr nachts. Ankunft 6 Uhr bezog sich nicht auf Gokarna sondern auch das Endziel Goa. Und da, wo wir stoppten, war auch gar nicht Gokarna Stadt, sondern 20 Kilometer ausserhalb. Gokarna Cross. Da gab es nichts, nur den Highway. Nicht mal eine Bude zum Hinsetzen und Verstecken. Ich stieg paralysiert aus und bekam Panik, ich fing an zu schreien, dass das lebensmüde ist und dass ich das nicht mal in Deutschland tun würde, mitten in der Nacht an einer Strasse aussteigen und sowieso wie sollte ich denn weiterkommen? Der nette Inder bot mir an, dass ich mit ihm weiter nach Goa fahre, dort erstmal eine Runde schlafen könnte bei ihm und seiner Schwester, und von dort aus – wie ja ursprünglich geplant – wieder runter nach Gokarna. Das war mir zu doof, 3 Stunden weiter gen Norden zu fahren, um die dann wieder runter zu fahren, wenn ich jetzt 20 Kilometer von Gokarna entfernt bin. Die Inder redeten in Hindu aufgeregt durcheinander. Ich stieg wieder ein, und sie brachten mich zur nächsten Stadt. Ankola. Dort stand ein Taxifahrer an einer Tankstelle. Wir sprachen ihn an, und er brachte mich dann für mehr Geld als die komplette Fahrt kostete zum Strand von Gokarna. Ich musste ihm wieder vertrauen. Es war kurz vor 4 Uhr in der Früh. Ich versuchte meinen Bekannten anzurufen, er ging nicht ran. Innerhalb eines Tages, musste ich Vertrauen wie am Fliessband: Dem Rikschafahrer von früh morgens, der Horde Männer im Sleepingbus, und dem Taxifahrer, der mich an mein Endziel brachte. Zum Strand runter führten Stufen, es war stockduster. Der Taxifahrer beruhigte mich. Er sagte: „Dir passiert nichts, geh einfach runter und warte bis die Sonne aufgeht.“ Genau das machte ich dann. Ich knipste meine Taschenlampe an und schlich zum Strand runter. Beim ersten Guesthouse setzte ich mich dann hin, einige Hunde gesellten sich dazu, und wir warteten bis die Sonne aufging. Niemals hab ich mich so lebendig gefühlt und niemals war ich so froh darüber, noch lebendig zu sein. Dann machte ich mich auf die Suche nach meinem Bekannten. Mit einem Rucksack voller Vertrauen.
Mucho Love, Yvi
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